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Die letzte Reise führt über Grenzen

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Bestattungsunternehmen aus Lichtenau bietet günstige Beerdigungen in Tschechien an - Nachfrage steigt

Chemnitz. Erst am Sterbebett ihres pflegebedürftigen Mannes hat Gerda Opitz* die ersehnte Zustimmung für ihr Vorhaben erhalten. Dafür, ihren Mann nach seinem Tod in Tschechien einäschern und die Urne dort anonym beisetzen zu lassen. Ihre Tochter war lange Zeit dagegen. Obwohl das Geld der Familie für ein Grab in der Heimatstadt Leipzig nicht reichte. Schulden drohten. Der Glaube gab der Tochter bei der Entscheidung Halt: Es ist nur die Hülle, die auf Reisen geht.

Ein Familienunternehmen aus Lichtenau hat sich auf Beisetzungen in Tschechien spezialisiert. Klienten der Firma Vedha Bestattungen betreten mit der Filiale in Chemnitz einen karg eingerichteten Raum. Von der Tür bis zum Schreibtisch ist es nur ein Schritt. Allein die Urnen im Regal verraten das Metier von Günter Scharrer und seiner Tochter, deren weiße Bluse zur zurückgekämmten Frisur nicht bequemer aussieht als der dunkle Anzug des Vaters. Umwege ersparen sich die beiden gern. Ausstellungsfläche für Särge auch. Denn die kostet extra. Und Extras muss der Kunde zahlen.

Das Institut wirbt im Internet mit günstigen Preisen. Das Angebot "Ruhe sanft" kostet 1220 Euro: Die Leiche wird in einem Krematorium in Nordböhmen verbrannt und dort beerdigt. Worte eines Trauerredners gibt es gegen Aufpreis. Der Trend gehe aber dahin, nur das Nötigste zu machen. Als Billigbestatter wollen sie nicht bezeichnet werden, sagt Günter Scharrer. Denn das Wort werte die Leistung ab. Seiner Frau Alexandra Scharrer gehört das Unternehmen. Ebenso arbeitet die Tochter, die ihren Vornamen nicht in der Zeitung lesen möchte, im Familienbetrieb. "Kunden fragen gezielt nach den günstigsten Angeboten", sagt sie. "Jeden Tag werden es mehr." In Chemnitz könne sie eine vergleichbar schlichte Beisetzung auf der "Grünen Wiese" nur für fast tausend Euro mehr anbieten. Leipzig ist noch teurer. Die Preise in Tschechien dagegen unschlagbar. Wie viele Bestattungen das Unternehmen pro Jahr erledigt, bleibt Firmengeheimnis.
Der Preis zählte auch für Gerda Opitz. Sie blieb die Einzige aus der Kundenkartei der Bestatter, die mit der Presse sprechen will. Aber nur, wenn ihr richtiger Name nicht in der Zeitung erscheint. Denn das Thema empfindet sie als heikel. "Die Leute reden darüber, warum man kein ordentliches Grab ausgewählt hat", sagt die Leipzigerin. "Und ich möchte nicht, dass über mich geredet wird." Nicht darüber, dass sie mit ihrem schwerbehinderten Mann nach dessen Unfall keine letzten Wünsche klären konnte. Dass die Pflegekosten der Jahre im Heim Erspartes wegschmolzen wie Mittagshitze Eis. Nicht über die Sorge, dass sie ihrer Tochter mit einer Grabstelle in der Messestadt zu hohe Kosten aufbürden könnte. Und erst recht nicht darüber, dass sie eine Weile auf Sozialhilfe angewiesen war. "Ich habe mich von dieser Zeit nur sehr schwer erholt", erzählt Gerda Opitz. Zwei Jahre sind vergangen, seitdem die 70-Jährige die Überreste ihres Mannes aus finanziellen Gründen in Tschechien vergraben ließ. Für sich selbst hat sie die Entscheidung ebenfalls getroffen: Auch sie wird einmal auf dem Friedhof in Hrušovany liegen, einer Gemeinde etwa zehn Kilometer südlich von Chomutov - bei ihrem Mann. "Ich vermisse ihn jeden Tag", sagt die Rentnerin leise. "Aber trauern kann ich überall." Das entgegnet sie jedem, der die Entscheidung hinterfragt. Aus Bildern und Andenken hat sie sich in ihrer Wohnung einen Schrein gebaut. Doch ein oder zweimal im Jahr besucht sie ihren Mann.

6000 Euro geben Bundesbürger laut der Verbraucherinitiative für Bestattungskultur im Schnitt für eine Beerdigung aus. Einen großen Teil nehmen Friedhofsgebühren ein, die sich in einem Umkreis von wenigen Kilometern stark unterscheiden können. Seit dem Wegfall des Sterbegelds weist oft der Preis den Weg zur letzten Ruhestätte. Der in Deutschland geltende Friedhofszwang schließt gerade günstige Möglichkeiten aus. Andere Länder sind in ihrem Bestattungsgesetz liberaler. Etwa Tschechien, die Niederlande oder auch die Schweiz. Mehrere Anbieter haben sich dort auf Naturbestattungen spezialisiert und verstreuen mit der Post erhaltene Asche auf Bergwiesen. In Deutschland ist das undenkbar. Deshalb stammen die meisten Kunden aus dem Nachbarland. Einige Auftraggeber verbinden ein unbestimmtes Sehnsuchtsgefühl mit den Alpen, denken an die Geschichte von Heidi und dem Ziegenpeter, erzählt Unternehmer Beat Rölli. Doch für die meisten zählt der Preis - gerade bei Kunden aus Ostdeutschland. In solchen Fällen soll er oft nicht einmal eine Erinnerungskarte von der Spar-Variante für 250 Euro schicken. Ausgeführt wird das, was der Kunde bestellt. Bevor er ins Geschäft mit der Asche einstieg, war der 43-Jährige in leitender Position für einen Chemiekonzern tätig. Anfangs waren die Alternativ-Bestattungen nur ein Hobby. Inzwischen kann der Schweizer davon leben.
Auch Scharrers aus Lichtenau wollen das anbieten, was der Zeitgeist fordert. Regelmäßig plant das Bestattungsunternehmen Kaffeefahrten zum tschechischen Krematorium in Vysoèany. Verträge werden nach Auskunft der Organisatoren aber nie im Bus, sondern ausschließlich im Büro abgeschlossen. Im Preis der Ausfahrt ist ein Mittagessen eingerechnet. Der Bus startet in Leipzig. Für Gerda Opitz ist es längst keine Info-Fahrt mehr. Sie nutzt die Gelegenheit jedes Mal, um nach dem Grab ihres Mannes zu sehen. Zuletzt war das im Mai. Der Besuch des Friedhofs und der schmucklosen Stelle, unter der ihr Angehöriger liegt, steht nach der Besichtigung des Krematoriums an. Neugierige schauen zu, wie ein Sarg mit einem Leichnam in den Verbrennungsofen geschoben wird und sich langsam auflöst. "Manche können sich vom Guckloch gar nicht lösen", erzählt die Witwe. Schon mehrere Gruppen hat sie dabei beobachtet. Sie selbst schaut nie ins Feuer.

Etwa 5000 Särge im Jahr durchlaufen die Anlage, die Mitte der 1990-er Jahre grenznah erbaut wurde. Für den Transport in andere EU-Staaten wird lediglich ein internationaler Leichenpass benötigt. Anfangs vermittelte eine Dolmetscherin zwischen Kunden und Anbieter. Inzwischen haben die Mitarbeiter durch die Aufträge aus dem Nachbarland so gut Deutsch gelernt, dass ihre Hilfe nicht mehr nötig ist. Jede fünfte Leiche stammt aus Deutschland, sagt Geschäftsführer Jiøí Klùfa. Es werden mehr. Der Preis spiele bei der Wahl des Krematoriums eine Rolle. Ebenso die Zeit. Nach zweieinhalb Stunden kann die Asche wieder mitgenommen werden. Gearbeitet wird im Dreischichtsystem, um die Aufträge abzuarbeiten. Im Krematorium in Chemnitz lag die Auslastung voriges Jahr nur knapp über 50 Prozent. Für 2011 erwarten die Verantwortlichen ähnliche Zahlen. Von einer Konkurrenzsituation spricht die Stadtverwaltung dennoch nicht. Das Angebot in Chemnitz werde von dem in Nordböhmen nicht berührt, lautet die Auskunft.

Vom Krematorium in Tschechien bringen die Auftraggeber die Asche in den meisten Fällen wieder zurück nach Deutschland. Einige wählen das Urnengrab nahe der Anlage, wie es Gerda Opitz für ihren Mann getan hat. Eine zusätzliche Trauerfeier buchen die Wenigsten. Die Betreiber haben neben Kunden aus Hannover, Leipzig und Chemnitz auch Kontakt ins Erzgebirge und nach Berlin. Für den Obermeister der sächsischen Bestatterinnung lassen Billigbeerdigungen die nötige Pietät fehlen. "Solche Angebote weisen Entsorgungscharakter auf", sagt Werner Billing. "Es ist eine kleiner Zweig schwarzer Schafe, der nicht in der Innung ist." Allerdings sind in Sachsen nur 40 Prozent der Bestatter Mitglied des Verbandes. Scharrers sind ebenfalls nicht dabei. Ehrfurcht vor den Toten hat nichts mit dem Preis zu tun, kontert Günter Scharrer und seine Tochter fügt hinzu: "Das Krematorium in Tschechien nutzen noch andere. Nur spricht in der Branche niemand gern darüber."

Das Traditionsgeschäft befindet sich im Wandel. Die Konkurrenz wächst. Gingen Kunden früher geradewegs zum Bestatter um die Ecke, vergleichen heute immer mehr Preise. "Letztlich muss jeder ökonomisch arbeiten, um zu überleben", sagt die Unternehmensnachfolgerin. Auf ihrem Schreibtisch lehnt eine Postkarte. Eine Klientin hat sie ihr geschickt. Romantische Ansichten vom Rhein sind darauf zu sehen. Ihrem Mann hat die Seniorin versprechen müssen, dass sie die verbleibende Zeit und das übriggebliebene Geld nutzt, bis sie auf einer Wiese wieder den Platz an seiner Seite einnimmt - um zu reisen.

*Name geändert




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